Hilfe suchen, Hilfe annehmen

Die Betroffenen, mit denen wir gesprochen haben, waren in ganz unterschiedlichen Erkrankungsphasen. Manche erzählen, dass sie erst seit Kurzem eine Essstörung haben, andere begleitet die Erkrankung seit vielen Jahren. Einige hatten die Essstörung hinter sich gelassen. Die Meisten erzählen, dass sie noch auf irgendeine Weise mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben – einige nur noch punktuell, andere stecken noch mittendrin. Egal in welcher Krankheitsphase sie sich befinden, machen die Erzählerinnen deutlich, wie schwierig es ist, Hilfsangebote zu finden und vor allem diese auch anzunehmen.

 

Informationen über die Essstörung bekommen

Für viele war es zu irgendeinem Zeitpunkt der Erkrankung wichtig, „objektive“ Informationen über die Erkrankung zu bekommen. Sie lasen Bücher und Fachartikel zum Thema Essstörungen, informierten sich auf Internetseiten und bei Ärzten, Ernährungsberatern und Therapeuten (siehe Erfahrungen mit Ärzten, Ambulante Psychotherapie, Stationäre Klinikaufenthalte, Ergänzende Unterstützung). Es half ihnen, zu erkennen, dass die Essstörung wirklich eine Krankheit ist. Sie verstanden besser, was mit ihnen und ihrem Körper geschah, wie viel von ihrem Erleben tatsächlich durch die Erkrankung bedingt ist. Sie erfuhren, was ihr Körper eigentlich braucht, um gesund zu funktionieren, und welche Folgeschäden sie zu erwarten hatten (siehe Körperliche Folgen). Für manche war das ein allererster Schritt aus der Krankheit heraus.

Alexandra Jung fand es hilfreich, im Internet medizinische Informationen über Ernährung einzuholen.

Für einige der Erzählerinnen war es hilfreich, zu erkennen, dass sie mit dem was sie tun nicht alleine sind, sondern dass es andere gibt, die ähnlich handeln und fühlen. Manche fanden es hilfreich, sich Berichte von anderen Betroffenen anzuhören oder zu lesen. Einige fanden diese Möglichkeit in Biografien oder Medienberichten, andere in Kliniken oder Selbsthilfegruppen wie den Overeaters Anonymus (OA) (siehe Andere Betroffene und Selbsthilfegruppen).

Viele der Erzählerinnen warnen jedoch auch, dass die Suche nach Informationen, insbesondere im Internet, ein zweischneidiges Schwert ist. Einige stießen dort auf Seiten, in denen es eher darum ging, sich in der Essstörung gegenseitig anzuspornen. Clara Fischer betont: „Ich weiß, dass es da so Seiten auch gibt, wo die sich dann so Tipps geben, wie man besser kotzt und so weiter. Die Schiene braucht man gar nicht.“ (siehe Andere Betroffene und Selbsthilfegruppen).

Einige der Erzählerinnen machen deutlich, dass es auf ihrem Weg zwar wichtig war, Informationen über die Essstörung und was mit ihr zusammenhängt zu bekommen, es jedoch nochmal ein ganz anderer Schritt war, sich tatsächlich Hilfe zu suchen. Sie erzählen, dass ihnen irgendwann sehr klar war, was mit ihnen los ist oder was sie eigentlich machen müssten, es aber noch einige Zeit dauerte, bis sie auch wirklich bereit waren, Hilfe anzunehmen und etwas an ihrer Situation zu ändern.

 

Hilfsangebote kennen und ausprobieren

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg, Hilfe zu bekommen, war für viele der Erzählerinnen, sich selbst einzugestehen, dass sie Hilfe brauchen (siehe Das Problem erkennen). Entscheidend war dann, darüber Bescheid zu wissen, welche Möglichkeiten der Hilfe es überhaupt gibt. Manche nahmen die Suche irgendwann selbst in die Hand, andere wurden von ihrem Umfeld mehr oder weniger energisch dazu gedrängt, sich wenigstens einmal zu Hilfsangeboten beraten zu lassen. Manche fanden Unterstützung bei der Hilfesuche durch Hausärzte, Beratungsstellen oder Psychotherapeuten. Einige erzählen, dass sie die Informationen sehr lange mit sich herumtrugen, bevor irgendwann der Punkt kam, an dem sie bereit waren, sie auch zu nutzen. Es gibt auch Erzählerinnen, für die vor allen Dingen wichtig war, darüber informiert zu sein, was sie bei einem bestimmten Hilfsangebot zu erwarten hatten, also beispielsweise, wie ein Klinikaufenthalt ablaufen würde oder was es bedeutet, eine Psychotherapie zu machen (siehe Erfahrungen mit Ärzten, Ambulante Psychotherapie, Stationäre Klinikaufenthalte, Ergänzende Unterstützung). Die meisten Erzählerinnen sind sich einig, dass wirkliche Hilfe nur von professioneller Seite oder einer strukturierten Selbsthilfegruppe kommen kann. Sie betonen, dass das Umfeld zwar mit Informationen und Unterstützung den Weg dorthin ebnen kann, aber letztendlich nicht gegen die Krankheit selbst ankommen wird (siehe Familie, Partnerschaft, Kinder).

 

Sich auf die Hilfe wirklich einlassen

Bei manchen war lange kein Angebot wirklich hilfreich, bis sie schließlich an einen Punkt kamen, an dem sie wussten, dass sie unbedingt wieder gesund werden wollen oder dass sie ohne professionelle Hilfe nicht mehr weiterkommen würden. Als wichtigen Aspekt, um Hilfe schließlich auch annehmen zu können, nennen viele der Erzählerinnen, dass das Angebot mit einer gewissen Freiwilligkeit einherging – der Druck von außen reichte häufig nicht aus, wenn die eigene Motivation zur Veränderung fehlte. Einige betonen allerdings, dass es für sie überhaupt erst wieder möglich wurde, Hilfe zu wollen und sich darauf einzulassen, nachdem sie (meist eher unfreiwillig) wieder an Gewicht zugenommen hatten. Carina Wintergarten fand es wichtig, das Gefühl zu haben, dass bei der Hilfe individuell auf sie eingegangen wurde.