Leben mit Inkontinenz

Viele unserer Interviewpartner schildern, dass sie Sorgen hatten, nach einer Operation oder einer Bestrahlung inkontinent zu sein, d.h. ihren Urinfluss nicht mehr kontrollieren zu können (Erleben und Auswirkungen der Operation sowie Bestrahlung). Bei einigen bestätigte sich die Sorge nicht und sie waren froh, damit nichts zu tun zu haben.

Das Wasserlassen nach der Operation geht für Volker Keller besser als vor der Behandlung.

Nach dem Entfernen des Katheters spielte das Thema Inkontinenz zum ersten Mal eine Rolle, weil bei vielen der Automatismus der beiden Harnröhrenschließmuskeln auf einmal nicht mehr (richtig) funktionierte. Neben dem unkontrollierten Urinieren bzw. Einschränkungen der Dichtigkeit berichten unsere Interviewpartner auch von einem stärkeren und unregelmäßigeren Harndrang.

Unsere Interviewpartner beschreiben, dass sie bei bestimmten Bewegungen wie schnellem Aufstehen, Bücken oder Anheben schwerer Dinge etwas „undicht“ waren. Ebenso kam es zur Inkontinenz beim Husten, sich Erschrecken oder bei Flatulenz. Auch bei kälteren Temperaturen empfinden einige den Harndrang größer.

Andreas Wolke hat sich auf die Inkontinenz eingestellt, mit der er mittlerweile ganz normal umgehen kann.

Andere beschreiben in diesem Zusammenhang auch, nicht mehr zu spüren, dass sie Urinieren müssen. Manche suchten daher nach Möglichkeiten, damit umzugehen.

Thomas Lange bereitete sich speziell auf einen Flug vor und übte den Fall, den Urin nicht mehr halten zu können.

Inkontinenzprobleme verändern speziell auch die Situation nachts bzw. während des Schlafes, schildern unsere Erzähler. Viele können nicht durchschlafen und müssen alle paar Stunden zur Toilette, was für unsere Erzähler unterschiedlich belastend ist.

Sich unbemerkt nachts einzunässen ist für Frank Moll belastender als nachts aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen.

Helmut Wurm geht nicht mehr ins Schwimmbad und versucht, vor Flügen und dem Schlafengehen nicht zu trinken.

Übungen - Kontinenz neu erlernen

Weil bei einer Operation der innere Muskel am Blasenausgang nicht mehr unterstützt und damit der äußere Muskel überlastet wird, mussten viele trainieren um die Kontinenz zu verbessern bzw. wiederherzustellen. Sie machten Beckenbodentraining, manche starteten bereits im Krankenhaus nach der Behandlung mit dem Training, andere erst in der Anschlussheilbehandlung (Rehabilitation).

Der Automatismus, der vor der Erkrankung ohne Nachdenken funktionierte, musste nun durch „mentales Ertasten des Muskels“ neu erlernt werden, schildert etwa Ernst Lehmann. Für viele sei es nicht einfach, Erfolge beim Beckenbodentraining zu spüren. Einige geben an, nicht gewusst zu haben, was sie anspannen sollten und wo der Muskel ist, da sie ihn nicht fühlen konnten. Andere haben es nie richtig gezeigt bekommen und wussten daher nicht, was genau sie machen sollen. Manche berichten, dass es bei ihnen ein Prozess war bzw. ist und seine Zeit dauere, um die entsprechenden Übungen zu beherrschen. Nicht alle wissen, ob sie jemals wieder kontinent werden, sind aber zuversichtlich. Bei anderen gab es keine Fortschritte durch die Beckenbodengymnastik, auch nach mehreren Jahren nicht. Viele konnten jedoch durch Eigeninitiative und Fortsetzen des Trainings ihre Kontinenz weiter verbessern. Anderen wie Bernd Voigt half die Aufklärung in der Rehaeinrichtung oder der Zuspruch durch ihre Ärzt*innen.

Peter Engel empfand die Inkontinenz als Versagen seines Körpers und er grübelte, ob es jemals besser werden würde.

Uwe Ziegler war kontinent, musste aber häufig zur Toilette, weshalb er Beckenbodentraining machte, was ihm half.

Helmut Wurm versucht seit vielen Jahren kontinent zu werden, spürt aber die Beckenbodenmuskulatur nicht.

Frank Molls Inkontinenz war in erster Linie eine Kopfsache; am besten funktioniert es, wenn er an nichts denkt.

Vorlagen

Um im Alltag nicht immer die Angst zu haben, eine „nasse Hose“ zu bekommen, erzählten unsere Interviewpartner von Vorlagen oder Einlagen, die sie nutzen; einige nannten diese Windeln. Die Vorlagen unterschieden sich in Größe und Saugfähigkeit und wurden von unseren Interviewpartnern in Apotheken, Sanitätshäusern oder dem Internet gekauft. Die Unkosten wurden dabei meist von den Krankenkassen übernommen (Finanzen, Krankenkasse und Schwerbehindertenausweis). Einige berichten, dass die Vorlagen erhebliche Unterschiede in der Qualität aufweisen; Wolf Jung bezahlte seine Vorlagen selbst, weil ihm die Vorlagen die er von der Krankenkasse bekam, nicht zusagten.

Manche unserer Interviewpartner berichteten davon, dass sie teilweise 15 Vorlagen pro Tag nutzen. Die Zahl der an einem Tag notwendigen Vorlagen schwankte auch danach, welche anstrengenden Tätigkeiten oder sportlichen Aktivitäten durchgeführt wurden. Dabei berichten unsere Interviewpartner von den Schwierigkeiten, die die Nutzung von Vorlagen im Alltag mit sich bringen. Gerade weil es auch von den Tätigkeiten abhing, berichten einige davon, wie schwierig es ist, zu entscheiden, wie viele Vorlagen eingeplant werden müssen. Aber auch das rechtzeitige Wechseln der Vorlagen musste bedacht werden, da zu nasse Vorlagen auf die Hose durchdrücken können. Das Wechseln der Vorlagen und die gebrauchten Vorlagen zu entsorgen stellte für viele Männer ebenfalls eine Herausforderung und Belastung dar.

Das Tragen voller Vorlagen, speziell im Sommer, sei unangenehm. Außerdem locke der Geruch besonders im Sommer Hunde an, so Helmut Wurm, dennoch könne man die Vorlage auch nicht nach jedem Tropfen wechseln, weil nicht immer eine Gelegenheit oder Zeit dafür da sei.

Thomas Lange benutzt Vorlagen, da er nicht sicher ist, ob er in jeder Situation kontinent ist.

Frank Moll hat bei der Arbeit mehrere Hosen dabei. Das Entsorgen der gebrauchten Vorlagen ist ihm peinlich.

Umgang mit schwerer Inkontinenz

Trotz vieler Übungen und Versuchen gelang es nicht allen Männern, die Inkontinenz als für sich akzeptabel in den Griff zu bekommen. Manche unserer Interviewpartner vermuteten, dass bei den Behandlungen ihr Schließmuskelsystem zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden war. Andere gingen davon aus, dass es das eigene Alter sei, was es ihnen unmöglich machte, den Urin zu halten, womit sie sich schließlich abgefunden hätten.

Für Alfred Brandt ist Kontinenz auch eine Frage des Älterwerdens und er nimmt es humorvoll.

Doch unsere Gesprächspartner schildern auch, dass es für sie weitere Behandlungsmöglichkeiten gab, um ihre Inkontinenz zu vermindern. Sie berichten zum Beispiel von künstlichen Schließmuskeln, Urinalkondomen oder Elektrostimulation.

Rainer Wolffs künstlicher Schließmuskel stoppte seine totale Inkontinenz, erst dadurch konnte er wieder leben.

Gegen Bernd Voigts Inkontinenz half ein Elektromagnetstimulationsgerät, was er von der Krankenkasse bekam.