Alltag, Freizeit und Freunde

Manche unserer Erzähler schildern, dass ihnen in ihrer Kindheit mit Epilepsie vieles verboten wurde, da die Ärzte oder die Familie sich Sorgen um mögliche Risiken machten.. (siehe Thementext: „Kindheit und Schule“). Heute wollen sich die meisten in ihrem Alltagsleben so wenig wie möglich durch die Anfälle behindern lassen. Andererseits zwingt die Epilepsie vor allem diejenigen, die ein hohes Anfallsrisiko haben, oft zur Rücksichtnahme oder schränkt in der Lebensführung ein (siehe auch Thementext „Risiko und Sicherheit“). Auch die Medikamente können Kraft kosten und das Leben mühsam machen. Wo und in welcher Form Beeinträchtigungen in Kauf genommen werden müssen, hängt in hohem Maß von der Art der Anfälle und ihrer medikamentösen Kontrollierbarkeit ab (siehe auch Thementext „Verschiedene Anfallsformen“).

Renate Lang berichtet, wie mühsam es war, auf den rechten Arm wegen der Daueranfälle verzichten zu müssen.

Tobias König richtet sich nur in wenigen Punkten nach seiner Epilepsie.

Fast alle Erzähler berichten übereinstimmend, dass eine möglichst regelmäßige Lebensführung mit ausreichendem Schlaf, wenig Stress und konsequenter, zeitgerechter Medikamenteneinnahme die wichtigste Grundlage für ihr alltägliches Leben ist. Dabei orientieren sie sich an Vorstellungen vom gesunden Mittelmaß, einem moderaten Leben oder bemühen sich, die Anforderungen im Alltag überschaubar zu halten und den Alltag gut zu strukturieren. Manche haben die Erfahrung gemacht, dass bei größeren Unregelmäßigkeiten und Belastungen im Tagesablauf sowie vor allem nach Schlafmangel und Umstellung des Lebensrhythmus Anfälle auftraten. Einige wenige betonen, dass für sie keine bestimmten Regeln notwendig seien.

Cornelia Schneider achtet auf Regelmäßigkeit im Schlafrhythmus und bei den Medikamenten.

Beate Pohl erzählt, wie sie tagsüber eine regelmäßige Tabletteneinnahme organisiert.

Viele berichten davon, dass sie vor allem in früheren Jahren, als die Anfälle noch nicht so gut behandelt waren, kaum noch aus dem Haus gingen, sich sehr zurückzogen und passiv wurden. Als sich bei einigen die Anfallskontrolle verbesserte oder sie den Entschluss fassten, sich ihr Leben nicht aus der Hand nehmen zu lassen, konnten sie wieder mehr unternehmen und neue Lebensbereiche erobern.

Dagmar Schuster erzählt, wie sich ihre Lebensqualität durch Ausprobieren neuer Aktivitäten wieder verbesserte.

Margarete Ziegler fühlt sich durch die Medikamente wieder sicher und frei.

Ein wichtiger Lebensbereichist für viele der Umgang mit Bewegung und Sport. Fast alle erzählen, dass sie nach wie vor Sport treiben oder versuchen, sich zu bewegen, sei es, dass sie bestimmte Sportarten praktizieren, tanzen oder ein Fitness-Center aufsuchen, sei es, dass sie wandern und viel an die frische Luft gehen. Manche erzählen, dass sie sich gar nicht einschränken und alles an Sport praktizieren, worauf sie Lust haben; andere wurden schon von Kindheit an von Eltern oder Ärzten von Sport zurückgehalten. Wichtig ist dabei für die meisten, hohe Leistungsansprüche und extreme Anstrengung zu vermeiden und besonders auf ihre Sicherheit zu achten. Andere führten sogar in Phasen verstärkter Anfälle ihr gewohntes Training weiter. Einige fanden es bitter, auf risikoreichere und schnelle Sportarten gänzlich verzichten zu müssen. Bei einigen wenigen löste ein engagiertes Sporttreiben auch Anfälle aus, während die meisten ein ausgewogenes körperliches Training als unproblematisch und wesentlich für ihr Wohlbefinden beschreiben. Wichtig ist auch hier die individuelle Anpassung an die jeweiligen Möglichkeiten und die Anfallssituation (zu Vorsichtsmaßnahmen und Auswahl geeigneter Sportarten siehe unter www.izepilepsie.de). Manche fanden Sportarten und Gelegenheiten, bei denen Rücksicht auf ihre Einschränkungen genommen wurde. Manuela Walter konnte mit ihrem Rollstuhlcurling-Team sogar schon Preise auf deutschen Meisterschaften erringen.

Christian Voss trainiert als Ausgleich zur Büroarbeit im Judo.

Katharina Sommer erzählt von Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen im Alltag und Sport.

Sarah Schneider beobachtet, dass ihre Konzentration beim Sport schnell nachlässt und sie dadurch gefährdet sein kann.

Während einige Interviewpartner problemlos in Sportgruppen, Fitness-Zentren oder Trainingsmannschaften mitmachen konnten, berichten andere, dass sie nicht erwünscht waren. Hier wollten die leitenden Personen nicht die Verantwortung für sie übernehmen oder das Aufteten von Anfällen in der Gegenwart anderer Teilnehmer wurde als störend und belastend empfunden.

Unterschiedlich gehen die Erzähler mit den Risiken des Fahrradfahrens und Schwimmens um. Einige lehnen beides als zu risikoreich ab, viele wollen aber auf das Fahrradfahren nicht verzichten und gehen auch unter bestimmten Vorsichtsmaßnahmen schwimmen. Hier bleiben sie meist in flacheren Gewässern oder Badeanlagen, gehen nur mit Begleitpersonen ins Wasser und verständigen den Bademeister. Einige bedauern den Verlust der Möglichkeit, allein im Meer oder in unbewachten Seen hinausschwimmen zu können. Andere erzählen, dass sie sich keine Beschränkungen mehr auferlegen, weil sie schon länger anfallsfrei sind oder ihr Anfallsrisiko gut einschätzen können.

Frank Herrmann schwimmt nicht mehr im Meer, geht aber gern ins Schwimmbad.

Margarete Ziegler würde gern nochmal mit dem Fahrrad fahren.

Neben Sport und Bewegung berichten viele unserer Erzähler von zahlreichen Hobbies, denen sie nachgehen. Alle fühlen sich von ihren Aktivitäten ausgefüllt und können ihren Tag sinnvoll füllen; auch diejenigen, die berentet sind, erzählen, dass bei ihnen keine Langeweile aufkommt. Martin Krüger fand Freude daran, einen Hund aufzuziehen. Andere berichten von künstlerischen Tätigkeiten, die ihnen viel Freude machen, malen oder handarbeiten und verbringen Zeit mit Freizeitgruppen.

Während früher Epilepsie und Alkoholgenuss als grundsätzlich unvereinbar galten, ist heute bekannt, dass auch bei Epilepsiekranken jeder Mensch unterschiedlich auf Alkohol und seine möglichen Wechselwirkungen mit Medikamenten reagiert. Deswegen kann die jeweilige Verträglichkeit und Menge nur individuell betrachtet werden und sollte am besten mit dem Arzt abgesprochen werden (siehe hierzu auch Informationslinks auf der Seite „Infos und Links“). Viele unserer Erzähler berichten, dass sie weitgehend auf Alkohol verzichten und ihn nur selten bei festlichen Gelegenheiten zu sich nehmen. Andere schränken sich wenig oder gar nicht ein; einige erzählen von Anfällen, die nach reichlichem Alkoholgenuss auf Parties aufgetreten seien.

David Sahin berichtet, dass er immer auf einen größeren Zeitabstand zwischen Medikamenteneinnahme und Alkoholgenuss achtet. Einige Erzähler, die mittlerweile schon länger anfallsfrei sind, haben die weitgehende Alkoholabstinenz beibehalten, weil sie keine Entbehrung verspüren.

Einige der jüngeren Interviewpartner erzählen, wie sie sich als abstinente Jugendliche vom exzessiven Alkoholkonsum in ihrem Freundeskreis abgestoßen fühlten. Vor allem ältere unter den Interviewpartner berichten, dass ihr Alkoholverzicht oft Anlass zu Witzeleien oder zu Ausgrenzung war oder der Alkohol ihnen regelrecht aufgedrängt wurde.

Kirsten Arnold fühlte sich ausgegrenzt, weil sie nicht in die Kneipen mitgehen wollte.

Einige Erzähler vermitteln, dass das Auftreten der Anfälle nicht nur Einschränkungen mit sich brachte, sondern sie auch dazu veranlasste, über ihren vorherigen Lebensstil und ihre Belastungen nachzudenken. Dies führte dazu, dass sie sich nun aktiv darum bemühen, ihre Bedürfnisse ernster zu nehmen und durch eine schonendere Lebensweise mehr Lebensqualität erlangen konnten.

Alexandra Ludwig gönnt sich seit den Anfällen mehr Auszeiten und vermindert die Belastungen.

Susanne Schäfer fand heraus, dass Yoga ihr gut tut und Klarheit verschafft.

Das Leben mit den Anfällen wirkt sich in den Berichten unserer Interviewpartner auch auf den Freundeskreis aus, in dem sich, wie Christine Becker es nennt, durch den Umgang mit den Anfällen die Spreu vom Weizen trennt.

Während die Älteren unter unseren Interviewpartnern noch viel über Ausgrenzungen und Diskriminierungen in der Schule und in geselligen Situationen reden, berichten viele der Jüngeren, dass ihre Freunde problemlos mit der Epilepsie umgingen. Sven Franke erzählt, dass zwar manche seiner Freunde Angst vor Anfällen hatten und überfordert waren, mit ihm in die Disko zu gehen, andere Freunde ihn aber auch auf Rockfestivals begleiteten.

Einige Erzähler erwähnen, wie wichtig es ihnen ist, dass die Krankheit in ihrem Freundeskreis keinen großen Raum einnimmt. Sie möchten nicht anders behandelt werden und wollen in allen Belangen „für voll“ genommen werden. (siehe auch Thementext: „Reden über Anfälle“).

Florian Becks Freunde ließen ihn auch während der schlimmen Anfallsphasen nicht im Stich.

David Sahin möchte keine besonderen Rücksichtnahmen, er möchte ganz normal behandelt werden.

Bei manchen Erzählern vermindern die Medikamentennebenwirkungen, die Beeinträchtigungen durch die Anfälle oder die Angst vor den Anfällen die Möglichkeiten, einen Freundeskreis zu pflegen.

Martin Krüger hat durch seine Gedächtnisprobleme Schwierigkeiten, Menschen und Gesichter wiederzuerkennen.

Einige Erzähler, die wegen des Anfallsriskos eine zeit lang nicht allein leben konnten, schildern, wie es ihnen in Wohngemeinschaften für Epilepsiepatienten gelang, ein eigenes Leben aufzubauen, ohne auf Gemeinschaft verzichten zu müssen.

Monika Schulz hatte früher Angst vor vielen Tätigkeiten, hat aber jetzt in ihrer Wohngemeinschaft viel dazu gelernt.

Anja Bauer erzählt, wie sie durch ihre Wohngemeinschaft für epilepsiekranke Menschen aus der Vereinsamung kam.